Seit ältester Zeit muß man den mitteldeutschen Raum als Verbreitungsgebiet eines einfarbig roten Rindes ansehen. Der Volksstamm der Kelten brachte dieses Rind bei seinem Eindringen in Europa mit sich. Häufig findet man es in älterer Literatur folglich auch unter der Bezeichnung „Keltenvieh“. Die Art und Weise der Landwirtschaft und der Tierhaltung ließ hier ein kleines, widerstandsfähiges, robustes und dennoch leistungsfähiges einfarbig rotes Rind entstehen.
Erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts setzte eine züchterische Bearbeitung ein. Man hatte erkannt, daß durch Auswahl guter Tiere zur Vermehrung, sich die erbrachten Leistungen der Elterntiere auch in der Folgegeneration erzielen ließen. Die Züchter versuchten ihr Glück durch Einkreuzung allerlei fremder, offensichtlich besserer oder leistungsfähigerer Tiere. Schon sehr bald mußte man erkennen, daß dieses Rezept nicht ohne weiteres funktionierte. Die tierische Leistung war also auch ein Produkt seiner Umwelt. Die eingeführten und eingekreuzten Tiere passten einfach nicht in die kleinbäuerlich strukturierten Betriebe der deutschen Mittelgebirge.
Daraufhin begann man die Viehstämme aus sich heraus zu verbessern. Dies führte gegen Ende des letzten Jahrhunderts zur Gründung von Herdbuchgesellschaften in fast allen Zuchtgebieten dieser roten Rinder, also den deutschen Mittelgebirgen, so auch im Jahr 1885 zur Gründung der „Oberhessischen Herdbuchgesellschaft für Vogelsberger Rotvieh“. Aus dieser Zeit stammen auch die Begriffe wie „Vogelsberger“, „Waldecker“, „Bayrisches Rotvieh“, „Harzer Rotvieh“ oder auch „Odenwälder Rotvieh“, um nur einige zu nennen. Als Höhenrotvieh wurden diese Rassen oder Schläge unter einem Begriff zusammengefaßt.
Man züchtete ein Rind, das unter den kärglichen Bedingungen der Landwirtschaft in den Mittelgebirgen trotzdem eine respektable Milchleistung erbrachte. Fast ebenso wichtig war die Zugleistung der Tiere, die ebenfalls beachtet wurde. Daneben sollten die Tiere auch noch eine ansprechende Fleischleistung erbringen.
Im Laufe der Jahre kam es jedoch immer wieder zu Einfuhren und Einkreuzungen anderer Rassen (z. B. Fleckvieh, Frankenvieh) in alle Rotviehzuchten, die das dem Höhenviehtyp zuzurechnende mitteldeutsche Rotvieh, ob nun Vogelsberger, oder Waldecker, züchteten. Auch innerhalb dieser Züchterorganisationen kam es regelmäßig zu einem Zuchttieraustausch.
Kriege und wirtschaftliche Einflüsse sorgten dafür, daß die Arbeit der Züchter mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich war. Dennoch konnte man ein bodenständiges Rind züchten und erhalten, das den Anforderungen der Bauern in den eher benachteiligten Mittelgebirgslagen entsprach.
Seit den 50er Jahren zeichnete sich jedoch eine sehr starke Umstrukturierung der Landwirtschaft und damit auch der Tierzucht ab, die auch an den Rotviehzuchten nicht spurlos vorbeiging. Die zunehmende Technisierung und Motorisierung der Landwirtschaft, mit dem Traktor als äußerem und markantestem Ausdruck, sorgte dafür, daß Landwirtschaft wesentlich intensiver betrieben werden konnte und mußte als bisher. Dieser Schub an Leistungsfähigkeit, der nun auch von der Tierzucht und damit auch vom Rotvieh gefordert wurde, war in kurzer Zeit nicht durch züchterische Anstrengungen innerhalb der Rotviehschläge zu realisieren. Man begann eine Verdrängungskreuzung mit Rindern der Rassen, die optisch dem Bild des Rotviehs am ehesten entsprachen und in ihren Leistungen das brachten, was der expandierende Markt für die tierischen Produkte Milch und Fleisch forderte. Zu diesen Rassen zählten vor allem das Angler Rind, aber auch das Rote Dänische (Milch-)Rind. Die Zugleistung der mitteldeutschen Rotviehschläge, seit jeher eine der wichtigsten Leistungen dieser Tiere, war nun nicht mehr gefragt, die tierische Leistung diesbezüglich war buchstäblich wertlos.
Diese Entwicklungen führten dazu, daß die mitteldeutschen Höhenrotviehschläge aller Zuchtgebiete nach und nach und fast unmerklich verschwanden.
Erst zu Beginn der 80er Jahre machten sich einige Tierzüchter und Landwirte Gedanken um den Erhalt dieser Rotviehschläge. In Gießen gründete sich ein Arbeitskreis zur Erhaltung des Vogelsberger Rindes, jenes Schlages, der im benachbarten Vogelsberg noch vor nicht allzu langer Zeit vorherrschend war. Ernüchternd war die Suche nach „überlebenden“ Tieren dieses Schlages.
Ca. 20 weibliche Tiere konnten gefunden werden, die jedoch keineswegs reinrassige alte „Vogelsberger“ waren. Ihr Genanteil belief sich auf maximal 50 %, meistens jedoch auf 25 % und weniger.
Den entscheidenden Anstoß für den Beginn einer tierzüchterisch sinnvollen Arbeit gab der „Fund“ von Restspermaportionen eines reinrassigen Bullen des alten Rotviehs. Die Zentralbesamungsstation in Gießen verfügte noch über ca. 60 Portionen dieses Spermas und unterstützte fortan die Bemühungen des Arbeitskreises. Durch Anpaarung an die interessantesten noch verbliebenen Kühe konnten Tiere nachgezogen werden, deren rechnerischer Genanteil immerhin so hoch lag, daß sich mit diesen Tieren erfolgversprechend weiterzüchten ließ. Weiterhin konnten durch intensive Nachforschungen noch weitere weibliche Tiere gefunden werden, die dem alten Rotvieh entstammten. Auch hier waren es keine reinrassigen Tiere mehr, aber immerhin Tiere mit nennenswerten und nachweisbaren Genanteilen alten Rotviehs. Die Zuchtbasis vergrößerte sich.
Zu dieser Zeit, im Jahr 1985, wurde aus dem Arbeitskreis nun der „Verein zur Erhaltung und Förderung des Roten Höhenviehs e.V.“.
Hätte man bis zu diesem Zeitpunkt noch von den „Vogelsbergern“ sprechen können, da alle Tiere aus dem ehemaligen Verbreitungsgebiet dieses Schlages stammten, so stimmte das nun nicht mehr.
Auch in den anderen früheren Zuchtgebieten des alten Rotviehs wurde man fündig, insbesondere im Harz und in Westfalen.
In diesen Zuchtgebieten war die Entwicklung ähnlich verlaufen wie im Vogelsberg. Da jedoch deren züchterische Basis zu gering war, um ein ähnliches Vorhaben wie in Hessen zu realisieren, konnten die interessanten Tiere glücklicherweise in die hessischen Aktivitäten integriert werden.
Meistens wurden die Tiere nach Hessen verkauft. Spätestens jetzt ist der Begriff „Vogelsberger“ nicht mehr zutreffend, die Bezeichnung „Rotes Höhenvieh“ ist hier viel richtiger.
Sehr bald wurden jedoch Stimmen laut, die auf das Problem des starken Inzuchtzuwachses in einer solch kleinen Population aufmerksam machten. Dieser Tatsache begegnet man bisher durch den geringen aber gezielten Einsatz genealogisch nahe verwandter Rassen in der Population des Roten Höhenviehs. Dazu zählen vor allem die Gelbviehschläge, wie das Frankenvieh, das noch in großer Zahl gezüchtet wird, aber auch das Lahnvieh. Das Lahnvieh ist eine bereits seit längerem ausgestorbene Rinderrasse, die in der Gegend um Limburg/Lahn beheimatet war. Verfügbar ist diese Rasse ebenfalls nur durch einen geringen Spermavorrat eines Bullen in der Zentralbesamungsstation Gießen.
Nachdem sich die Population bis heute auf dieser Basis entwickeln und konsolidieren konnte, steht die Frage der Nutzung der Tiere heute im Mittelpunkt des Interesses.
Heute betreut der „Verein zur Erhaltung und Förderung des Roten Höhenviehs e.V.“ ca. 230 weibliche Tiere, die von über 35 Züchtern gehalten werden.
Der Ausblick in die Zukunft orientiert sich sehr stark an den Einsatzmöglichkeiten des Roten Höhenviehs.
Dazu muß man sich das heutige Zuchtziel vor Augen halten, das abgeleitet ist von dem Zuchtziel für das Rotvieh, wie es in der Vergangenheit formuliert wurde:
Zuchtziel ist ein einfarbig rotes bis rot-braunes Zweinutzungsrind im mittleren Rahmen mit kurzem bis mittellangem Kopf, kurzem festem Hals, mit ausgeprägter Wamme sowie tiefer Brust. Der mittellange und gerade Rücken sollte eine gute Rippenwölbung bei tiefer Flanke zeigen.
Angestrebt wird eine volle Bemuskelung, kräftige feste Gliedmaßen mit korrekter Stellung und dunklen harten Klauen. Das Flotzmaul und die Hörner sollten hell, letztere mit dunklen Spitzen versehen sein. Die Schwanzquaste ist hell.
Das Rote Höhenvieh soll sich besonders für die Haltung auf der Weide eignen und auch in der Landschaftspflege verwendet werden können. Kühe und Bullen sollen sich durch beste Fruchtbarkeit, hohe Widerstandskraft und Vitalität auszeichnen. Bei guter Mast- und Schlachtleistung, insbesondere Fleischqualität wird eine Milchleistung von 4000 kg aus dem Grundfutter bei 4,5 % Fett und 3,5 % Eiweiß angestrebt.
Das Gewicht der ausgewachsenen Bullen beträgt 750 – 950 kg, bei einer Widerristhöhe von 135 – 145 cm. Das Gewicht der Kühe beträgt 550 -700 kg bei einer Widerristhöhe von 130 – 140 cm.
Damit ist das heutige Rote Höhenvieh sowohl phänotypisch als auch in seinem Leistungsspektrum beschrieben.
Bei der Nutzung der Tiere zur Milcherzeugung muß man nun berücksichtigen, daß der betriebswirtschaftliche Erfolg nicht durch sehr hohe Einzelleistungen der Kühe erzielt wird und auch gar nicht erzielt werden kann. Vielmehr sind es besondere Bedingungen die hier dazu führen auch mit Rotem Höhenvieh ökonomisch Milch erzeugen zu können.
Der bewußte Verzicht auf hohe Kraftfuttergaben, aber auch besondere betriebliche extensive Fütterungs- und Haltungsbedingungen, die einen hohen Kraftfuttereinsatz ausschließen, lassen dem Roten Höhenvieh Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten. Hier ist es der Standort mit seiner betrieblichen Umwelt, die einen Leistungsrahmen setzt, der mit dem genetischen Leistungsprofil des Roten Höhenviehs genau ausgefüllt werden kann.
Immer mehr Züchter nutzen jedoch das Rote Höhenvieh in der Mutterkuhhaltung. Auch hier steht der ökonomische Aspekt im Vordergrund.
Dabei besitzt das Rote Höhenvieh Eigenschaften, die seine Verwendung in der Mutterkuhhaltung lohnenswert machen. Robustheit und Widerstandsfähigkeit seien hier beispielhaft noch einmal erwähnt. Mit diesen Voraussetzungen läßt sich ein Einsatz der Kühe auch unter stark extensivierten Fütterungs- und Haltungsbedingungen verwirklichen. Dennoch sichert die genetisch veranlagte hohe Milchleistung eine optimale Entwicklung der Saugkälber, die als Absetzer ein qualitativ hervorragendes Produkt der Mutterkuhhaltung mit Rotem Höhenvieh ergeben. Sowohl die Schlachtung, als auch die Weitermast der Absetzer kann unter ökonomischen Gesichtspunkten durchaus positiv beurteilt werden.
Den Züchtern des Roten Höhenviehs ist es bisher sehr gut gelungen, die Forderung nach dem Erhalt einer Rasse in ein wirtschaftliches Umfeld zu integrieren. Ausgehend von den Leistungen der Rasse ist versucht worden, die entsprechende betriebliche Umwelt zu suchen bzw. zu schaffen.
Bestrebungen der Extensivierung der Landwirtschaft auch im Zusammenhang mit der Forderung nach Landschaftspflege und -schutz wirken sich hier durchaus positiv aus.
Für die Zukunft des Roten Höhenviehs bedeutet es, die Zucht daraufhin auszurichten, die genannten Merkmale in der Rasse zu manifestieren und eine überlebensfähige Population zu erhalten, in der die wirtschaftliche Bedeutung dieser Merkmale bewiesen und demonstriert werden kann. Eindrucksvoller kann der Sinn und Zweck der Erhaltung des Roten Höhenviehs sicher nicht gezeigt werden.
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